Von der Lüneburger Heide nach unter Tage

Walter Meier berichtet über seine ersten Arbeitstage als Bergmann. 1946 kam er als 16-jähriger Junge aus dem Dorf Unterlüß südlich von Lüneburg nach Oberhausen, um auf der Zeche Sterkrade / Osterfeld vor Kohle zu arbeiten.

Nun hat der Autor eine Bitte. Aus seiner Zeit als Berglehrling stammt das untenstehende Bild. In der Mitte ist er selbst abgebildet, kann sich aber nicht mehr an die Namen seiner beiden Stubenkameraden erinnern. Vielleicht kann da ein Leser weiterhelfen? Aufgenommen wurde das Foto im Lager Forsterbruch in Oberhausen-Sterkrade.

Walter Meier im Lager Forsterbruch

 

Teil 1: Der lange Weg ins Ruhrgebiet.

Es war ein sonnenwarmer Herbsttag im August des Jahres 1946. Vom  Ortskommandanten der britischen Besatzung hatte ich die Erlaubnis bekommen, mich im Ruhrgebiet als Bergmann zu bewerben. So saß ich nun auf einem Fahrrad, das ich mir in den vergangenen Monaten aus Einzelteilen zusammengebaut hatte.
 
In Unterlüß, in der Lüneburger Heide, lebte ich zusammen mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester. Nach Beendigung meiner Schulzeit hatte ich dort bei der riesigen Firma „Rheinmetall-Borsig“ eine Lehre als Maschinenschlosser angefangen. Diese Firma war ein reiner Kriegsbetrieb. Es wurden dort Panzer gebaut und repariert, sowie auch Kanonen aller Art. Wir hatten eine eigene Lehrwerkstatt mit zwei Meistern. Ich war bei der Betriebsfeuerwehr. Im April des Jahres 1945 wurde von hunderten amerikanischer B52-Bombern das Werk völlig zerstört und nicht wieder aufgebaut. Wir konnten uns für den kommenden Winter zwar mit genügend Brennholz versorgen, das wir in den umliegenden Wäldern sammelten, aber es war kaum Geld da.

Teil 2: Mit dem Fahrrad bis nach Sterkrade

Nun hatte ich also einen Passierschein in der Tasche, der mich zu der Zeche Sterkrade in Oberhausen leiten sollte. Den brauchte ich zwar nie vorzeigen und ich wurde auch während der ganzen Fahrt nicht kontrolliert. Es war aber doch ein beruhigendes Gefühl. Das erste Stück von Unterlüß fuhr ich als Abkürzung einen Waldweg an der Bahn nach Celle entlang. Früh am Morgen hatte ich mich aufgemacht, denn es lag ein weiter Weg vor mir. Es war wunderbar still zu dieser Zeit. Nach einer guten Stunde in Eschede dann auf die Landstraße nach Celle. Um bei meiner Vorstellung auf der Zeche einen guten Eindruck zu machen, hatte ich meinen besten Anzug an – eine blau gefärbte englische Militäruniform. Das Tragen dieser ausgedienten Uniformen war damals üblich und etwas anderes hatten wir auch nicht. Es wurde von der Besatzung stillschweigend geduldet. Eine ehemals deutsche Uniform erregte dagegen sofort Misstrauen und führte zu allerhand unangenehmen Befragungen. Ich war wohl auch noch zu jung, gerade 16 Jahre, um als geflohener deutscher Kriegsgefangener verdächtigt zu werden.

Durch das zerbombte Hannover musste ich mir recht mühsam mit vielen Fragen meinen Weiterweg nach Hameln und zur Reichsstraße Nr.1 suchen. Überall auf den Straßen lag noch meterhoch der Schutt der zerbombten Häuser. Straßenschilder gab es nicht mehr. Zu Hause hatte ich mir auf einer alten Karte in dem verschwindend kleinen Maßstab 1:1.000.000 den Weg nach Oberhausen angesehen. Der führte ab Hameln immer auf dieser Reichsstraße Nr.1 entlang. Hinter Hannover waren dann die ersten kleinen Berge hinauf zu radeln. Da aber noch immer schönes Wetter war, machte es mir nichts aus. Vielmehr hatte ich hin und wieder sogar das Glück, dass mich ein Bauer mit einem Trecker und Anhänger langsam überholte, an den ich mich hängen konnte. So kam ich gut durch das Wesergebirge, vorbei an Blomberg und durch Bad Meinberg und landete schließlich spät abends in dem kleinen Ort Schlangen, wo ich in einem Gasthof ein Zimmer bekam.

Teil 3: Schmutz und Staub in der Luft des Ruhrgebiets

Am nächsten Morgen dann wieder bei strahlendem Sonnenschein weiter in die Ebene hinaus. Immer auf der Reichsstraße Nr.1 entlang auf das Ruhrgebiet zu. Das kam nun unerbittlich näher, mit Industrie und Schmutz und Staub in der Luft. Überall sah ich die Zerstörungen des Krieges. Durch Essen war es dann noch einmal äußerst schwierig, den rechten Weg nach Oberhausen zu finden. Ich wusste nur, dass ich nun die Reichsstraße verlassen und nach Norden fahren musste. Die Menschen, die ich hier traf, sahen elend aus und waren noch schlechter gekleidet, als ich es von Unterlüß her kannte. Alle hatten es eilig und waren nicht zu Antworten auf meine Fragen aufgelegt. 
Hier sollte ich also arbeiten? Ob es denn überall im Ruhrgebiet so aussah? Als es schon dämmerte, kam ich endlich totmüde auf der Zeche Sterkrade an. Die lag auch nicht in Oberhausen, sondern noch einmal zehn Kilometer weiter nördlich, eben in Sterkrade.
Ich schob mein Rad müde über den Zechenhof und fragte nach einem Menschen, der mir weiterhelfen könnte. Man verwies mich an den Ausbildungssteiger. Der war noch in seinem Büro und empfing mich sehr freundlich. Er musste mir meine Erschöpfung wohl angesehen haben, denn als erstes ging er mit mir zur Kantine und brachte mir dort eine Schüssel mit heißer Nudelsuppe. So etwas Gutes hatte ich lange nicht mehr gegessen: Die Suppe war dick und heiß und zwischen den Nudeln zeigten sich sogar Fleischstückchen. Beim Essen fragte er dann nach meinen Wünschen. Als ich ihm den Passierschein zeigte, knurrte er etwas von Besatzerwillkür. Ich bekam jedoch auch von ihm ein neues Papier in die Hand gedrückt, das mir eine Nacht nebst einem Abendessen und Frühstück in dem Bergarbeiterlager Forsterbruch sicherte. Nachdem er sich fürsorglich erkundigt hatte, ob ich es mir noch zutraue, mit dem Rad zu dem Lager zu fahren, entließ er mich mit einem ersten Glückauf und der Weisung, mich am nächsten Morgen zusammen mit den Berglehrlingen pünktlich um sechs Uhr bei ihm zu melden.

Also noch einmal auf das Rad und durch die nun schon dunkle Stadt zum Lager Forsterbruch. Am Eingang gab es eine Kontrolle. Mein Papier vom Steiger machte die Mienen der Bewacher aber freundlicher und sie zeigten mir die letzten Meter meines langen Weges zu der Baracke der Berglehrlinge, die etwas abgesondert von den anderen am Rande des Lagers dalag. Ich meldete mich beim Lagerleiter, einem forschen jungen Mann, der auch Bergmann war, aber im Krieg einen Arm verloren hatte. Nun machte er hier die Arbeit im Wohnheim der Lehrlinge. Falls ich wirklich morgen angelegt werden würde, so sagt man hier, und Berglehrling werden möchte, dann könnte ich auf die Stube 3 kommen zu noch zwei anderen Lehrlingen. In dieser ersten Nacht könnten wir uns ja schon einmal kennen lernen.

Teil 4: Wecken um halb fünf in der Früh

Am nächsten Morgen um halb fünf wurde ich, das heißt wir alle, von einer Wahnsinnsglocke geweckt, deren aufdringliches Klingeln selbst Tote hätte erwecken können und ein „Aufstehen - aufstehen . .“ dröhnte über den Flur. Das war der Lagerleiter. Er kam in unsere Bude und ermahnte mich. „Halt dich heute am besten an Deine beiden Kollegen. Geh mit ihnen zum Frühstück und dann zur Zeche. Frühstück kriegst du in der Kantine. Ich hab da schon Bescheid gesagt. Wenn auf der Zeche alles erledigt ist, kommst du wieder hierher. Ich bin fast immer in meinem Büro anzutreffen.“ In der Kantine war zu dieser frühen Stunde schon ein reger Betrieb : Alle die Bergleute aus den übrigen Baracken, die zur Frühschicht mussten, holten sich hier ihre Brote und die erste Tasse „Muckefuck“ ab. Die meisten stopften alles in irgendeine abgewetzte Aktentasche und tranken ihren Kaffee im Stehen. Einige setzten sich mit einer Zigarette mit Kollegen an einen Tisch. Wir drei setzten uns auch an einen freien Platz und sie wollten nun wissen, wann ich denn wieder kommen würde. So marschierten wir denn zusammen zur Zeche.

Als erstes nahmen sie mich mit in die Waschkaue. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ein riesiger Saal, fast wie eine Kirche, der von dem Stimmengewirr widerhallte. Von der hohen Decke hingen hunderte Kleiderbündel an Ketten herunter. Jede Kette führte zu einem Haken, der  mit einem Vorhängeschloss versehen an einer langen Bankreihe endete. Meine zwei neuen Kollegen erklärten mir alles. „Hier wird unsere Straßenkleidung einschließlich der Unterwäsche ausgezogen und dann mit der Arbeitskleidung getauscht“, sagte er. Auf dem Rückweg ist es dann umgekehrt, nur dass man da auch noch ausgiebig duschen und sich so gründlich reinigen kann. „Also, wenn Du hier ankommst, für den ersten Tag ein Stück Seife, Bürste, Handtuch, Vorhängeschloss und Handcreme nicht vergessen. Später regelt sich das alles von alleine.“ Dann trennten sich unsere Wege. Die beiden hatten schon ihren festen Arbeitsplatz und ich marschierte zum Büro des Ausbildungs-Steigers.

Mit einem Blick auf die große Uhr in seinem Zimmer empfing er mich. Als ich ihm erklärte, dass ich schon zwei Kameraden gefunden, und die mir nur eben noch die Waschkaue gezeigt hätten, lächelte er milde. „Du möchtest also Berglehrling werden? Oder bist Du nur zum Arbeiten hergekommen?“ Ich sah ihn fragend an. „Also, wenn Du nur im Bergbau arbeiten möchtest, bist Du für untertage noch zu jung. Aber wir würden schon einen Platz über Tage finden, erstmal am Leseband oder in der Schlosserei.“ Übertage, das ist alles, das man sehen kann, wenn man als normaler Mensch das Zechen-Gelände betritt. Untertage beginnt dann das eigentliche Bergwerk mit seinen vielen Gängen und Hallen. Das sind die Querschläge und Strecken und die Strebe, in denen die Kohle abgebaut wird. Für mich waren das erst einmal noch sehr geheimnisvolle Namen. „Wenn Du den Beruf aber richtig lernen willst, mit der Möglichkeit, dass Du später einmal Hauer oder sogar Steiger werden kannst, dann musst Du hier eine Lehrzeit mitmachen. Die dauert, wie in jedem Beruf drei Jahre und ist mit Berufsschule verbunden. Später dann auf die Bergschule“, sagte er.
 
Das hatte der Lagerleiter mir auch schon so etwa erklärt und ich hatte ja eine Nacht Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Also sagte ich, dass ich gerne Berglehrling werden möchte. „Na, dann wollen wir mal den Papierkrieg erledigen. Einwilligung der Eltern? „ Habe ich nicht, aber die werde ich mitbringen, wenn ich wiederkomme. „Was denn, willst du nicht gleich hierbleiben?“ Nein, das konnte ich ja nun nicht. Ich war doch nur mit dem Fahrrad da, ohne jedes Persönliche Hab und Gut. In einer Woche könnte ich aber wieder zur Stelle sein. „Na gut, dann weiter. Die Geburtsurkunde und das letzte Schulzeugnis wirst Du dann mitbringen. Hast Du irgendwelches Arbeitszeug und festes Schuhwerk? Ach was, Wir sagen einfach mal, nein. Du wirst sehen, dass die meisten älteren Bergleute ihre alten Militäruniformen, oder völlig zerrissenes Arbeitszeug tragen. Dazu irgendwelche alten Hüte oder Mützen von der Wehrmacht. Wir sehen das nicht gerne. Vor der Kohle arbeiten sie dann wegen der Hitze fast nackt. Es ist aber wegen der Unfallgefahr besser, einen ordentlich sitzenden Arbeitsanzug und einen Lederhelm zu tragen. Ebenso Schuhe mit Stahleinlagen. Wenigstens die Berglehrlinge sollen bei mir so zur Arbeit gehen. Also schreibe ich Dir hier für das Magazin eine Liste der Dinge, die du dann dort bekommst einschließlich Arbeitszeug.“

Ich staunte, was er da alles aufschrieb: Arbeitsanzug, Lederhelm, Stiefel, Lederhandschuhe, Knieschützer,  sogar ein Stück Seife vergaß er nicht, die hieß „Bergauf“ und roch gut.  So etwas hatte ich schon lange nicht mehr gesehen.  In Unterlüß hatten wir, wenn überhaupt nur diese „Schwimmseife“ bekommen. Die war so leicht – wohl aus Seifenschaum hergestellt – dass sie auf dem Wasser schwamm.  Hier konnte ich also jeden Tag nach der Arbeit duschen.
Dann steckte er alles in einen Ordner und den in die Schublade. „So, nun wollen wir mal zusammen deinen neuen Arbeitsplatz inspizieren“. Ich wunderte mich, dass er als Bergmann einen weißen Anzug trug. Er sah wohl meinen fragenden Blick. „Du wunderst Dich über meinen Anzug? Wir Grubenbeamten tragen seit jeher weiß. Daran erkennt man uns und im Übrigen ist Kohle ja kein Dreck. Es staubt nur gewaltig, aber das kann man zum größten Teil abklopfen.“

Teil 5: Gewaltige Ausmaße der Zeche

So zogen wir los und ich sah nun bei Tageslicht die gewaltigen Ausmaße der Zeche. Die zwei Fördertürme die hoch in den „blauen Himmel“ ragten. Der war hier aber nicht mehr blau, sondern von einer undefinierbaren graugelbrötlichen Farbe. Gegenüber den Fördertürmen zwei ebenso stattliche hohe Hallen, in denen die Fördermaschinen standen.
Nur waren die Hallen keine Hallen mehr, sondern nach der Zerstörung im Kriege, waren sie notdürftig hergerichtet und gegen den Regen abgedichtet. Aus denen führten jeweils zwei armstarke Seile zu den Fördertürmen hinauf, wo sie über ein riesiges Rad liefen, ehe sie in dem Gestänge des Gerüstes und damit in der Tiefe des Schachtes verschwanden. Ich durfte einen Blick auf eine dieser Fördermaschinen werfen. An der einen Wand ein riesiges Schwungrad: Die Treibscheibe, die von zwei Zylindern, so groß, wie jeweils eine Lokomotive, angetrieben wurden. Dazwischen saß einsam auf einem Stuhl der Maschinist. „Glückauf Karl. Alles in Ordnung hier?“, grüßte der Steiger. „Es geht so. Zieht hier noch gewaltig“, so die Antwort. Da sah ich erst, dass der Maschinist dick angezogen war, mit einer Russenmütze und die Ohrenklappen über die Ohren gezogen. Dazu hatte er dicke Handschuhe an. „Das ist der wichtigste Mann auf der ganzen Zeche. Wenn der müde ist, oder schlechte Laune hat, dann klappt die ganze Förderung nicht“, sagte mein Steiger und erklärte mir auch, dass auf der Zeche Sterkrade schon lange keine Kohle mehr gefördert wird.
 
Nur noch Material wurde hier befördert. Die Schächte dienten auch der Seilfahrt – das ist die Beförderung der Bergleute – sowie der andere Schacht als Wetterschacht. Dazu dienen die Übertageanlagen als Werkstätten für die Reparatur der Maschinen und Geräte, die Untertage gebraucht werden. Kohlenförderung findet auf der Zeche Osterfeld statt, die auch zur „Gutehoffnungshütte“ gehörte.

Im Lehrstollen, das ist ein Betrieb für die Lehrlinge, der so hergerichtet ist, wie untertage und auch so niedrig, dass man sich dauernd den Kopf stößt, wenn man nicht aufpasst, traf ich auch meine beiden Stubenkollegen wieder. „Glückauf“, sagt man hier bei jeder Gelegenheit und zu jedem. Die alten Bergleute antworten meist nur mit „... auf“. Es ist aber genauso gemeint.
Nach dem Mittag, das wir alle zusammen mit unserem Steiger und dem Lehrhauer Bernd einnahmen, erklärte mir der, dass ich auf dem Weg zum Lager zurück bei unserem Knappschaftsältesten vorbeigehen soll. Das ist ein ehemaliger Bergmann, der die vielen Kleinigkeiten im Leben eines Bergmannes für ihn erledigen kann. Er weiß, wie man Unterstützung für die Familie bekommt, oder er beantragt die Deputatkohle, die jeder Familie zweimal im Jahr zusteht. Auch einen Kurschein bekommt man bei ihm. Darauf darf man einen Tag krank feiern, wenn es mal nicht so will mit der Gesundheit. Nur mit solch einem Schein kann man dann zum Knappschaftsarzt gehen, oder am nächsten Tag wieder einfahren.
„Krankfeiern“ wird hier streng bestraft. Wer drei Tage willkürlich der Arbeit fern bleibt, der kommt mit zehn Mark Strafe ans „Schwarze Brett“ und beim Wiederholen droht die fristlose Entlassung.

So trödelte ich  langsam durch die Stadt. Als ich beim Lager ankam, waren meine neuen Stubenkollegen schon von der Frühschicht zurück. Lehrlinge hatten übrigens im ersten halben Jahr nur Frühschicht. An diesem ersten Nachmittag unterhielten wir uns über unser bisheriges Leben. Der eine hieß Alois Bergmann und kam aus Forchheim in Bayern, der andere Fritz Neugebauer: Ein Flüchtlingssohn aus Pommern. Der war im Krieg mit den Eltern geflüchtet und sie wohnten nun alle zusammen hier in der Stadt. Weil die Wohnung aber sehr klein war, lebte der Fritz im Lager. Ich blieb noch eine Nacht da und dann am anderen Morgen, gleich um halb sechs machte ich mich auf den Heimweg. Mit dem Rad den ganzen Weg bis Unterlüß wieder zurück.
Meine Mutter empfing mich freudig. „Willst Du nun wirklich Bergmann werden? Mein Geld würde doch reichen für uns drei und du könntest dich in Ruhe nach einer Arbeitsmöglichkeit umsehen“, sagte sie. Wie schön, dass sie, wenn ich jetzt in Sterkrade war, im Winter nicht mehr in den Wald musste zum Holzsammeln. Wir hatten auch von der Gemeinde vier Festmeter Holz zugewiesen bekommen. Das war für mich noch einmal eine anstrengende Woche. Einen Teil des Holzes spaltete ich noch und schichtete es unten im Hof zu einer Miete auf. Der Rest musste warten, bis zu meinem ersten Urlaub. Vielleicht konnte ich ja schon zu Weihnachten ein paar Tage bekommen. Dann waren noch ein paar Formalitäten zu erledigen: Abmelden bei der Gemeinde und nur ja unseren Ortskommandanten nicht vergessen. Von dem bekam ich auch wieder eine „wichtige“ Bescheinigung zur Vorstellung auf der Zeche. Mein Steiger warf sie später demonstrativ in seinen Papierkorb. Immerhin gestattete mir dieses Papier eine Zulassung zu einem „D-Zug“ von Hannover nach Oberhausen. Der war so voll, dass ich nur gerade auf meinem Koffer in einer Ecke des Ganges sitzen konnte. Das war aber fast erste Klasse gegenüber den Fahrten, die ich später ohne diese Zulassung noch machen sollte. Mit vielen Aufenthalten kam ich nachmittags in Oberhausen an. Von da gab es sogar schon wieder eine Straßenbahn nach Sterkrade und am Lager Forsterbruch war eine Haltestelle. Auf „meiner“ Stube wurde ich mit Hallo begrüßt. 

Teil 6: Erster Tag im neuen Leben als Bergmann

Der 11. September war ein Mittwoch. Für die Lehrlinge der Zeche Sterkrade ein Schultag, also brauchten wir erst um 8 Uhr zum Unterricht. So konnte ich an diesem ersten Tag in meinem neuen Beruf in Ruhe mit meinen beiden Stubenkollegen zum Frühstück gehen. Auf der Zeche traf ich dann mit allen Berglehrlingen im Unterrichtsraum zusammen. Wir waren etwa 20. Unser Steiger, Herr Eickhoff, kam auch zum Unterricht in seinem weißen Anzug. Übrigens reden sich alle Bergleute untereinander mit „Du“ an. Nur bei den Grubenbeamten vom Steiger aufwärts heißt es „Sie“. Nach einem „Glückauf“ sangen wir alle ein Lied. Das war für mich etwas ganz besonderes. Im Laufe dieser Zeit lernte ich manch ein schönes Lied und auch die Bergmannslieder. So kenne ich auch heute noch das schöne Lied aller Bergleute: “Glückauf der Steiger kommt“.

Ich wurde dann der Klasse als Neuer vorgestellt und bekam vom Steiger meinen Laufzettel. Als erstes zum Knappschaftsarzt. Nach längerem Warten wurde ich untersucht und von meiner jungen Lunge eine Aufnahme gemacht. Alles gesund! Dann weiter zum Einwohnermeldeamt. Wieder warten, ehe ich mit abgefertigtem Meldeschein und meinen ersten eigenen Lebensmittelkarten entlassen wurde. Bergschwerstarbeiter stand darauf! In der Kantine traf ich um Punkt 12 Uhr mit meiner Klasse zusammen.

Nach dem Essen ging es mit meinem Anlegeschein zur Markenkontrolle. Ein alter, freundlicher Bergmann klärte mich auf über den Ablauf eines normalen Arbeitstages. Ich bekam hier auch meine erste Markennummer 1147. Die ist an jedem Arbeitstag abzuholen und man sieht so, wer sich auf dem Zechengelände befindet. Später, wenn ich einmal untertage arbeite, werde ich für diese Nummer an der Lampenstube auch meine Grubenlampe bekommen, erfuhr ich. Dann weiter zum Magazin. Dort wurde ich mit allem, was zu meinem neuen Leben gehörte, versehen. Mit einem Arm voller „Klamotten“ zog ich zur Waschkaue und suchte dort meine Nummer. Der Kauenwärter zeigte mir meinen „Haken“. Gibt es denn hier nur freundliche Menschen, fragte ich mich. Bei meiner ersten Begegnung letzte Woche auf dem Weg hierher hatte ich einen anderen Eindruck. Sind vielleicht nur auf der Zeche die Bergleute untereinander freundlich, weil sie irgendwie zusammenhalten müssen?

Also ließ ich meinen Haken herunter und saß nun allein in dieser riesigen Halle auf der Bank. Ich hatte alles Wichtige an diesem ersten Tag erledigt und kam nun erst zum Nachdenken. Hatte ich wirklich das Richtige getan? Meine Mutter war mit dieser Wahl nicht einverstanden gewesen. Ich solle es mir doch eine Zeitlang in Ruhe überlegen, ob ich wirklich mein Leben lang unter der Erde arbeiten will. Und dann das dreckige Ruhrgebiet, wo schon am Nachmittag im Dunst der Industrie die Sonne untergeht. Gerade ich, der ich so gerne den ganzen Tag im Wald verbrachte. Zuhause in Unterlüß kannte ich jeden Winkel des riesigen Waldes, der das Dorf umgab. Das alles sollte ich nun verlassen. Nicht mehr mit meiner Mutter und der kleinen Schwester, die elf Jahre jünger als ich, gerade eben zur Schule gekommen war, in diesen herrlichen Wäldern umherstreifen. Mein Großvater, der in Unterlüß Uhrmacher war und eine eigene Werkstatt führte, hatte mit mir auch anderes vorgehabt: Ich hätte später einmal sein Geschäft übernehmen sollen. Eigentlich ein schöner interessanter Beruf, das Uhrmacherhandwerk. Ich war aber noch jung und wollte heraus aus dieser, uns von der Besatzung aufgezwungenen Gefangenschaft in unserem eigenen Dorf. Etwas in der Welt erleben.

Teil 7: Motoren und Rutschen reinigen

Der nächste Tag war dann also mein erster richtiger Arbeitstag auf der Zeche Sterkrade als Bergmann. Steiger Eickhoff brachte mich morgens zur Schlosserei. Eine große Halle. Lärm und ein warmer Dunst empfingen mich. Hier wurden die Druckluftmotoren der Haspel und die Zylinder der Rutschen gereinigt und repariert. Zum Beispiel wird solch ein schwerer Rutschenmotor an einer Kette zuerst einmal in ein großes Becken getaucht. Darin schwappt heißes Sodawasser. Wir Lehrlinge beginnen dann die äußere Reinigung. Mit einem Schlauch wird mit scharfem Strahl dieses heißen Sodawassers aller Dreck, der sich in der Grube angesammelt hat, entfernt. Dann zurück auf einen Wagen und nun wird der Motor aufgeschraubt. Solch ein Motor ist wie ein großer Zylinder, in dem ein Kolben, von Druckluft getrieben, die Arbeit verrichtet. Nach langer Zeit untertage, sieht es im Inneren auch nicht viel besser aus, als außen. Nach dem Zusammenbau, dann der Probelauf. Solch eine Rutsche, die im Abbaubetrieb, dem Streb, die Kohle zur Bandstrecke befördert, besteht auf der Länge dieses Strebs aus einer Anzahl von Blechen, die zusammengeschraubt werden. So entsteht eine lange Blechschüssel. Am oberen Ende, an der Kopfstrecke steht der Rutschenmotor. Der zieht dieses Blech ruckartig zurück und die Kohle, die darauf liegt rutscht ein Stück weiter nach unten. Ein Gegenmotor zieht dann das Blech langsamer wieder in die Ausgangsstellung zurück. Das geschieht etwa im Sekundenrhythmus und macht einen Höllenlärm.

Bei den Haspelmotoren geht es ähnlich. Ein Haspel ist eine Seiltrommel zum Bewegen von Förderwagen oder Material. In dem Motor wird wieder Druckluft auf zwei Zahnräder geleitet. Ähnlich wie bei einer Turbine drehen die sich dann. Natürlich nicht weniger lautstark. Dazu die vielen Abbauhämmer, auch Boxer genannt. Das ist das eigentliche Handwerkszeug, das der Bergmann täglich an der Kohle benutzt. Der erste Mann im Streb ist immer der Hauer. Egal, ob gelernt und mit Hauerprüfung, oder angelernt. Der bricht mit diesem Boxer im Streb die Kohle aus dem Flöz, zusammen mit einem Schlepper, der die losgebrochene Kohle auf das Transportmittel schaufelt. Hauer und sein Schlepper sind also immer ein Team. Danach gliedert sich der übrige Betrieb der Zeche: Die Steiger, die für den ordentlichen Betrieb verantwortlich sind und dann die Förderung zum Schacht und im Schacht, sowie über Tage die Weiterverarbeitung der Kohle. Das Transportmittel im Streb ist in flacher Lagerung meist ein Gummiförderband. Angetrieben von einem gewaltigen Elektromotor. Das ist natürlich gegen Beschädigung anfälliger, als eine stählerne Rutsche. Diese Rutsche funktioniert am besten in halbflacher Lagerung, bis etwa 20 gon Einfallen des Flözes. Da rutscht die Kohle gut. In steiler Lagerung werden die Bleche der Rutsche ohne Motor nur zur Führung der Kohle ausgelegt. Inzwischen gab es auf einigen Zechen zwar auch schon Schrämmaschinen. Das sind riesige Kettensägen, die nah am Liegenden einen Spalt in die Kohle sägen, sodass der Hauer die Kohle, die ja unter einem gewaltigen Druck zusammengepresst ist, leichter brechen kann. Es wurden auch Hobel versucht, die die gesammte anstehende Kohlenwand eines Flözes abhobeln und so dem Hauer die schwere Arbeit abnehmen. Alles das würde ich aber erst sehen, wenn ich später untertage arbeite.

Solch ein Tag in der Werkstatt geht immer schnell vorbei. Morgens werden einige Motoren gereinigt. Dann ist „Dubbelpause“. Ein „Dubbel“ ist das doppelte Brot, das der Bergmann zum Frühstück mitbekommt. In dieser schlechten Nachkriegszeit erhält jeder auf der Zeche vor Antritt der Schicht solch ein Paket: Bestes Brot mit Wurst und Käse belegt. Es gibt dafür mit der Lohntüte „Dubbelmarken“. Zum Trinken kann man sich auf der Zeche seine Kaffeepulle kostenlos mit Früchtetee füllen. Mittags treffen sich alle Übertagearbeiter in der Kantine und es gibt aus einer großen, rot emaillierten Blechschüssel ein Eintopfessen. Diese Blechschüsseln sind aus ehemaligen Stahlhelmen gemacht. Gegen ein Uhr sollen die Übertagearbeiter dann verschwinden, weil nun die Untertagearbeiter kommen. Zuerst die Spätschicht. Einige nehmen ihre Mittagsmalzeit vor der Arbeit. Es sind aber nicht viele, denn mit solch vollem Bauch kann man nicht gut arbeiten. Danach kommen müde die Frühschichtler. Die sitzen dann oft lange zusammen, ehe sie sich zum Heimweg aufraffen können. Alle sehen müde und sehr ausgezehrt aus. Die dunklen Augen, in deren Ecken noch der Kohlenstaub sitzt, unterstreichen diesen düsteren Eindruck. Nur zum Sonntag macht man sich die Mühe, auch die Augen zu säubern. Das ist eine langwierige und schmerzhafte Angelegenheit und lohnt nicht jeden Tag. Ich selbst habe später Lebertransalbe dazu genommen, die gab es im Sanitätsbüro der Zeche.

Teil 8: Geregelter Ablauf der Produktion

Der Tagesablauf einer Zeche ist meist so: In der Frühschicht wird die Kohle gemacht. Dann werden in der Spätschicht alle Geräte, wie Band oder Rutsche und Druckluftleitung wieder nahe an die Kohle umgelegt. In der Nachtschicht wird entweder der ausgekohlte Tote Mann mit Bergen versetzt oder in Revieren, in denen es schon Eisenstempel gibt, werden diese bei Bruchbau geraubt. Das ist eine schwere und gefährliche Arbeit, weil man immer nahe an der Bruchkante arbeitet und außerdem kann man sich an diesen Eisendingern leicht die Finger quetschen. Es gibt Kohlenflöze, da ist das Liegende so weich, dass sich die Eisenstempel tief in den Untergrund eingegraben haben. Trotzdem müssen sie aber irgendwie gerettet werden, denn sie sind teuer. Wenn der Ausbau mit Holzstempeln gemacht wurde, werden die meist mit dem Toten Mann zu Bruch gehen lassen.

Es war eine interessante Zeit für mich. Ich lernte alle Gerätschaften, die für die Arbeit des Bergmannes von Nutzen waren kennen. Konnte bald einen Abbauhammer zerlegen und kriegte ihn sogar wieder zusammen. Konnte ein Kugellager an einem Förderwagen erneuern. Konnte in der Schmiede die Bohrer schleifen und härten. Hier lernte ich sogar Gleise zu reparieren. Verbogene wieder herzurichten, oder neue Stücke in vorgeschriebene Bögen zu krümmen. Lernte auch die Weichen – der Bergmann nennt sie Wechsel – zu reparieren. Dabei half mir sehr, dass ich ja schon ein Lehrjahr als Schlosser hinter mir hatte.

Nach einigen Wochen in der Werkstatt kam ich dann auf den Holzplatz zu einigen älteren Bergleuten. Die waren für die Arbeit untertage nicht mehr „zu gebrauchen“ und so ging denn auch die Arbeit etwas langsamer voran: Morgens gab es einen Zettel mit den Aufträgen für den Tag. Es mussten viele Wagen mit den verschiedenen Stempeln beladen werden. Für jedes Revier andere Längen oder Stärken. Je nach der Mächtigkeit der Flöze, oder wozu sie sonst noch gebraucht wurden. Der Holzplatz war riesig und die Stapel mit dem Grubenholz viele Meter hoch. Zum Teil war die Arbeit gefährlich, weil man immer damit rechnen musste, dass solch ein Stapel plötzlich ins Rutschen kommt. Besonders bei Regenwetter, wenn das Holz nass und glitschig ist. Dann sind die Stempel sauschwer und zu Zweit fast nicht zu bewältigen. Sie müssen ja immer über den hohen Wagenrand der alten ausgedienten Förderwagen gehoben werden. Zum Glück war der Winter inzwischen teilweise vorbei und es kamen die ersten wärmeren Sonnentage.

Wenn wir schnell gearbeitet hatten und unser Soll erfüllt war, legten wir uns schon mal hinter einen Holzstapel in die Sonne. Einmal erwischte uns der Steiger dabei. Das gab ein ziemliches Donnerwetter: „Wenn ihr so früh fertig seid, dann könntet ihr ja mal die Gleise sauber halten und bringt dem Jungen hier oben nicht das Faulenzen bei.“ Am anderen Tag kam er schon wieder, aber nur, um mich abzuholen. „Ladet mal einen Wagen mit Sechsfüßern und dann komm mit.“ Sechsfüßer sind Stempel in einer Länge von etwa zwei Metern. Die Wagen, mit denen hier auf dem Holzplatz gearbeitet wird, sind alte ausgediente Kohlenwagen, bei denen die Vorder- und Hinterwand einfach herausgeschnitten ist, sodass die langen Stempel hineinpassen. Diese alten, teils verrotteten Wagen haben so ihre Tücken. Die Achsen laufen nicht mehr richtig und an den meisten fehlen die Kupplungen. Die braucht man meist ohnehin nicht, weil bei den langen Hölzern die Wagen mit Ketten zusammen gehängt werden, wenn der alte „Diesel“ gerade mal fahrbereit ist. Sonst werden sie einzeln zum Schacht geschoben. Also schob ich nun meinen Wagen hinter dem Steiger her, aber nicht zum Schacht, sondern zu unserem Lehrstollen. Es war Vorratsholz für den nächsten Unterrichtstag.
Dieser Unterricht, der immer am Mittwoch stattfand, verlief nach einem Plan, den das Oberbergamt im Klassenraum ausgehängt hatte.

„Ich glaube, du hast dich in der letzten Zeit gut erholt auf dem Holzplatz und bist inzwischen in fast allen Werkstätten gewesen. Wo warst du noch nicht?“, fragte der Steiger. „Ich möchte gern mal in der Fördermaschine arbeiten.“ Da lachte er. „Das kann ich mir wohl vorstellen. Das wollen alle mal, aber was willst du dort machen? Lernen kannst du da nichts. Ich denke an etwas anderes. Du bist inzwischen 17 und könntest eigentlich schon untertage arbeiten. Was hältst Du davon,  nach dem ersten Mai an die Kohle zu gehen?“
Ich war begeistert. Endlich sollte es losgehen. Er dämpfte meinen Ausbruch aber gleich wieder. „Denkst du, du kannst nun für Deutschland Kohle machen? Langsam, langsam. Erstmal wirst du in einem Ausrichtungsrevier mitarbeiten. Das ist ein Revier, in dem ein neuer Streb erst angelegt wird. Da wird auch nicht im Gedinge gearbeitet. Die Arbeit dort muss ordentlich und sauber gemacht werden, sonst klappt später der Betrieb nicht. Da kannst du unter Anleitung des Ortsältesten lernen, wie man sich untertage benimmt.“

Teil 9: Tag der Arbeit

Der erste Mai wurde hier, zumindest in diesem Jahr, ganz besonders gefeiert. Morgens wie immer um sechs Uhr, trafen sich alle auf der Zeche. Vor der Markenkontrolle waren Tische aufgestellt. Dort bekam jeder nach seiner Markennummer eine Karte. Für diese Karte gab es später einen Teller Erbsensuppe eine Flasche Bier und eine Schachtel billige deutsche Zigaretten. Wir alle wurden genau registriert und im Schichtenbuch unsere Anwesenheit vermerkt. Wer nicht da war, musste auch an diesem Tag entweder einen Kurschein vorlegen, oder Urlaub haben, sonst war es eine Fehlschicht mit Lohnausfall. Gegen sieben Uhr war es dann soweit, dass wohl alle zur Stelle waren und ihre Karten abgeholt hatten. Da sah ich zum ersten Male die ganze Menge der Bergleute, die auf unserer Zeche arbeiteten. Es waren wohl an die Tausend. Dann wurde der Zug der Bergleute geordnet. Voran die Zechen-Kapelle. Daran anschließend natürlich erstmal der Herr Betriebsführer und die Schar der Steiger. Ich ließ es mir von einem alten Bergmann erklären: Es gab zwei Obersteiger; einen für Untertage und einen für Übertage. Dann Fahrsteiger, die für den Ablauf der Förderung zuständig sind. Maschinensteiger, Elektrosteiger, Schachtsteiger und die vielen Reviersteiger. Auch unser Ausbildungssteiger war dabei. Den Schluss der langen Schlange, sozusagen die Ordnungspolizei machten die Leute der Grubenwehr. Ich wurde belehrt: Wenn Du nachher verschwinden willst, dann erst nach der Suppe im Zelt. Da werden die Marken eingesammelt und noch einmal jeder eingetragen, sonst gibt's nicht nur für den Tag kein Geld, sondern man kommt auch mit fünf Mark Strafe ans Schwarze Brett.

Unterwegs auf dem Marsch von der Zeche zum Marktplatz wurden die alten Kampflieder der Gewerkschaft gesungen. Wohl, weil wir sie alle während der Nazizeit verlernt hatten, gab es Zettel mit den Texten. Weiter hinten wurde aber nicht mehr gesungen, sondern man unterhielt sich ungeniert über alles Mögliche: Wer noch ein paar gute Brieftauben über den Winter gerettet hat, wer ein Karnickel abzugeben hat oder wo es vielleicht ein alten Fahrradschlauch gibt. Mir wurde auch angeboten:  „Jungchen, du rauchst doch noch nicht. Wollen wir nachher tauschen? Du gibst mir deine Zigaretten und ich dir meine Suppe.“ Das sollte mir nur recht sein.

Auf dem Marktplatz wurden einige Reden gehalten über Fördersoll und die schlechte Ernährung, die wir uns bei der schweren Arbeit gefallen lassen mussten. Auch über den großen Streik fast aller Zechen im letzten Monat. Es hatte damit begonnen, dass im vergangenen, besonders harten Winter die Ernährung der Bevölkerung immer schlechter wurde und es auch kaum noch etwas zum Feuern gab. Da half es wenig, dass die Bergleute besondere Rationen auf die Schwerstarbeiter-Karte bekamen und jeder eine Tonne Kohlen vor die Tür geschüttet bekam. Beides wurde ja sogleich in alle Richtungen verteilt: An Verwandte und Bekannte, die diese Bevorzugung nicht bekamen. So blieb für alle zusammen wieder nicht viel übrig. Schließlich war es dann zu einem Streik gekommen, an dem sich über 100 Zechen beteiligten. Ich hatte das nicht bemerkt in unserer „Lehrlings-Insel“. Wir lebten ja so geschützt und umsorgt, dass wir glaubten, alles sei in Ordnung.

Irgendein Mensch in schwarzem Anzug sprach eine Anerkennung aus für unsere Leistungen, die wir trotz aller Widrigkeiten für den Aufbau erbringen. Dann ging's endlich in das große Festzelt und jeder bekam auf seine Marke die versprochene Schüssel Erbsensuppe und die Flasche Bier. Meine Flasche Bier stellte ich einfach auf den nächsten Tisch und sagte, „Wer will, kann sie haben.“ Es ging recht lustig zu. Alle redeten durcheinander, lachten und machten Witze. Dazu spielte die Kapelle. Ich ging dann auch bald los durch die Stadt. Dabei fiel mir ein, dass ich mich ja am anderen Morgen auf der Zeche Osterfeld melden sollte. Es war nicht mal so weit von unserem Lager entfernt, wie die Zeche Sterkrade. Nur über die Sterkrader Straße und durch ein paar Nebenstraßen.

Es war eine typische Zechensiedlung. Vom Krieg zum Glück teilweise verschont geblieben. Alte Häuser, in roh gemauertem dunklen Klinker. In jedem Haus zwei, oder auch vier Familien. Auch an diesem Feiertag sah ich einige Frauen, die ihre „Waschmaschine“ auf der Straße stehen hatten. Diese Waschmaschinen waren ein Holzbottich, an dem ein „Wassermotor“ angebracht war. Der wurde mit Wasser aus der Leitung angetrieben und drehte einen Flügel, der die Wäsche hin und her bewegte. Das abfließende Wasser lief die Straße hinunter bis zum nächsten Gulli.

Am nächsten Morgen ging es zusammen mit meinen beiden Stubenkollegen los, zur Zeche Osterfeld. Die beiden arbeiteten da schon ein paar Monate.  Ich schleppte mein Bündel Klamotten. Das brauchte ich ja nun auf der neuen Zeche. Nur Handtuch und ein altes Stück Seife hatte ich in der Kaue der Zeche Sterkrade zurück gelassen, für die Unterrichtstage. Mein Arbeitszeug habe ich in dieser Woche nicht zur Wäscherei gebracht. Ich wollte auf der Zeche Osterfeld nicht mit blitzblanken Sachen erscheinen und so für Jedermann sichtbar als Neuer sein. Je näher wir der Zeche kamen, umso mehr Bergleute gesellten sich zu uns. Es war inzwischen hell geworden. Die Sonne stand dunkelrot im Dunst der nahen „Hüttenwerke-Oberhausen“ am eigentlich wolkenlosen Himmel. Nun konnte ich sie sehen: Die Bergleute. Alle waren mager, hatten ein eingefallenes Gesicht und alle gingen vornüber gebeugt mit langsamen Schritten. Ich sah sie aus den niedrigen Siedlungshäusern kommen. „Pass auf“ oder ähnlich waren die wenigen Abschiedsworte der Frauen, die oben an den Türen standen. Am Tor zur Zeche wurde es schon lauter. „Morgen Karl“ „..morgen“. Innerhalb der Zeche dann nur noch das übliche „...auf“. Gleich hinter dem Tor eine Baracke, dort gab es die „Dubbels“. Als ich meine Marke abgab, ein kurzer Blick, „Na, neu bei uns?“ „ja, Berglehrling“. „Na denn: Glückauf zur ersten Schicht.“

Teil 10: Erste Seilfahrt

An der Markenkontrolle rief ich dem unbekannten Mann hinter dem Schalter meine Nummer zu „1147“. Dann ging es in die Waschkaue. Die war hier, wo richtig Kohle gefördert wird, natürlich voller Leute, die alle wie ich zur Frühschicht mussten. Wie verwandelt waren hier plötzlich all die dunklen Gestalten, die ich auf der Straße so still hatte dahingehen sehen. Hier wurde geredet und gelacht. Man begrüßte sich und man saß auf der Bank zu einer letzten selbstgedrehten Zigarette. „Na, da hast du ja einen hübschen neuen Anzug“, sagte mein Nachbar. „Wo kriegt man denn sowas?“. „Ich bin Berglehrling. Alles aus dem Magazin von Zeche Sterkrade.“ „Na, denn mach dich man nicht dreckig hier bei uns“, lachte er. Da hatte ich gedacht, mit einem ungewaschenen Arbeitsanzug falle ich nicht auf.

Irgendjemand rief laut: „ Auf, auf, ihr faulen Hunde. Kohle machen, Geld verdienen.“ Ich sah auf die große Uhr über dem Eingang der Kaue. Punkt sechs. Beginn der Seilfahrt. Am Schacht saust jetzt schon der erste Korb in die Tiefe. Eine Treppe hoch, dann auf dem langen Gang an der Lampenstube vorbei. Das war für mich wieder etwas ganz neues. Fünf Schalter nebeneinander. Am ersten die Wetterlampen. Nur für Steiger und Wetterleute. Das sind Benzinlampen. Die darf wegen der Gefährlichkeit der normale Bergmann nicht mit sich führen. Die anderen Schalter nach Markennummern: 1000-1999,  2000-2999, 3000-3999 und über 4000. Also musste ich an den ersten Schalter. Ich tat es wie die anderen, warf meine Nummer auf den Tisch und sagte „... auf“. Wieder dieser kurze Blick. Es war mir so, als würde sich hier jeder kennen und ein Neuer sogleich auffallen. „Pass auf. Komm heil wieder“, sagte der Mann hinter dem Fenster. Da war ich auch schon vorbei. Geschubst von meinem Hintermann. „Mach zu.“

Nun wurde es kälter. Der Dunst der Waschkaue blieb zurück. Auf dem Gang kamen die Bergleute der Nachtschicht, die mit dem ersten Korb ausgefahren waren. Hier wurde nicht mehr gegrüßt. Müde Blicke. Dann stand ich plötzlich auf der Hängebank. Eine riesige Halle voller leerer Kohlenwagen, die auf unerklärlichen Wegen über Schienen und Weichen ihren Weg fanden. Auf der einen Seite des Schachtes laufen sie durch Kreiselkipper. Das sind Gestelle, die die vollen Kohlenwagen, so wie sie aus dem Förderkorb kommen, mit einer Drehung entleeren. Am anderen Ende der Hängebank werden sie von einer Kette unter den Schienen ein Stück bergauf gezogen und dann laufen sie wieder abwärts zum Schacht und werden zu zweit vom Anschläger mit Druckluft auf den Förderkorb gedrückt. Dabei schieben sie die vollen Wagen vom Korb in den Wagenumlauf.

Nun war Seilfahrt und die Kohleförderung stand solange still. Eine lange Schlange der einfahrenden Bergleute stand in zwei Etagen vor dem Schacht. Ein Förderkorb hat vier Etagen. So muss er nur einmal umgesetzt werden, ehe er mit Menschen beladen losfährt. Ich sah mir das alles an. Hatte die schwere Mannschaftslampe in den Gürtel gehängt. In der einen Jackentasche die „Dubbels“ und in der anderen die Pulle mit dem Früchtetee. Plötzlich kriegte ich von hinten einen Schubs. „Los, Junge. Träum nicht schon am frühen Morgen.“ Da war der Korb wieder und nun war ich dran. Zischend fuhr die Schwenkbühne mit einem Knall auf das Blech des Korbes. Der Anschläger zog das Gitter zur Seite, hob ein Drahtnetz hoch und ich stolperte als erster hinein. Fiel fast auf den letzten Mann der Nachtschicht, die auf der anderen Seite des Korbes ausstiegen. „Stopp, rief mein Nachbar. Oder willst du gleich wieder nach Hause?“  Da wurde dieses Gitter auch schon vor meiner Nase zugestoßen. Ich sah mich um in dieser engen Kiste. Unter mir die Schienen. Die eisernen Wände voller Löcher und oben hingen Ketten. Einige hielten sich daran fest. Direkt über unseren Köpfen schon die nächste Etage. Also hatte der Korb schon umgesetzt. Und dann verlor ich urplötzlich den Boden unter den Füßen. Mit acht Metern in der Sekunde schoss der Korb in die Tiefe. Es war still, keiner sagte etwas. Es zischte und klapperte an den Spurlatten entlang. Ein eisiger Wind pfiff durch die Löcher des Korbes und in den Ohren knackte es. Einmal zuckten für wenige Sekunden Lichter vorbei. Die obere Sohle. Dann war es wieder dunkel und nach einer Unendlichkeit von etwa zwei Minuten kamen Lärm und Licht von unten herauf. Die Fahrt wurde langsamer und mit einem sanften Ruck hielt der Korb am Füllort der dritten Sohle. Auch hier unten die gleiche Prozedur, wie oben auf der Hängebank. Die Schwenkbühne knallte, das Gitter flog zur Seite und ich von einem Schubs meines Hintermannes aus dem Korb.

Teil 11: Das bunte Treiben im Bergwerk

In blendendes Licht getaucht, stand ich da und wollte es nicht glauben. Das ist also ein Bergwerk. Eine riesige helle Halle. Das Füllort. Die Wände waren weiß gestrichen. Grelle Lampen beleuchteten alles und die vielen Gleise der Grubenbahn glänzten in deren Licht. Ein Gewimmel von Menschen, Nachtschicht und Frühschicht. Alle redeten durcheinander. Wie konnte ich denn hier den Steiger finden, an den ich mich wenden sollte? Meine beiden Kameraden waren schon zum Personenzug gegangen. Sie konnten nicht auf mich warten, arbeiteten in einem anderen Revier. Da sah ich auch eine Gruppe von Steigern. Die hatten also tatsächlich auch hier unten die weißen Anzüge an. Auf der Brust an einem Riemen eine helle Lampe. Den Blitzer. „Ich soll mich hier bei einem Steiger melden. Bin Berglehrling und soll im Ausrichtungsrevier arbeiten“, sagte ich in die Gruppe hinein. „Warte mal, der August Hering ist das. Der große dahinten. Aber mach erstmal deine Lampe an.“  Während ich dieses schwere Ungetüm von allen Seiten untersuchte, nahm er sie und mit einem kurzen Dreh war  das Licht an. „So geht das, mein Junge.“ Da kam auch der Steiger heran. „Du bist der neue, Walter Meier?“ „Ja“, antwortete ich.  „Dann komm mal mit.“  Zügig ging er voran, in einen langen Gang hinein, den Bahnhof. Hier standen mehrere Züge mit leeren Kohlenwagen nebeneinander. Er ging mit mir an einem langen Zug dieser Wagen entlang. In denen steckten lauter Köpfe mit Mützen, oder auch mit solchen Lederkappen, wie ich sie trug. „Das ist unser Personenzug. Verwechsele den nicht. Er steht jeden Tag auf diesem Gleis. Wenn du in einen falschen Zug steigst, landest du wer weiß wo. Wenn du dir unsicher bist, frage nach dem Zug nach Schacht Hugo.“

Er stieg in den ersten Wagen hinter der Lokomotive. „Na, komm, darfst heute mal mit mir fahren.“ Es war gar nicht so einfach, in den recht hohen Wagen zu klettern. Dicht darüber hing auch noch ein großes Brett mit einem Haufen Kalk darauf. „Stoß nicht daran, sonst sind wir weiß, wie die Müller.“ dann erklärte er mir, wozu diese Bretter dort hängen. „Das sind Steinstaubsperren. Wenn einmal – was die Heilige Barbara verhüten möge – eine Explosion ausgelöst wird durch Schlagwetter, oder durch Kohlenstaub, dann wird die Druckwelle hoffentlich diese Staubsperren herunter werfen. Der Staub, der dadurch aufgewirbelt wird,  kühlt die Explosionsflammen und bringt sie vielleicht sogar zum Erlöschen. Überall in den Querschlägen und Richtstrecken wirst du sie finden.“ Dann pfiff unsere Lok laut und lange und mit vielen Rucken setzte sich der Zug in Bewegung.

Ich saß ungemütlich auf dem harten und kalten Boden des Wagens, während mein Steiger mir gegenüber in einem Gurt schaukelte, den er links und rechts über den Wagenrand geklemmt hatte. „Hast du keinen Sitzgurt ?“, fragte er. „Den holst du dir aber bald. Komm nach der Schicht an meinen Schalter, dann schreibe ich dir einen Schein dafür.“ Kaum hatten wir uns ein paar hundert Meter vom Schacht entfernt, wurde es dunkel um uns herum. Die Strecke war nun auch nicht mehr gemauert, sondern gebogene Eisenschienen traten an die Stelle. Zwischen diese Bögen, die in kurzem Abstand von etwa einem halben Meter aufgestellt waren, sah ich die grauen Wände des Gebirges. Hin und wieder waren Hölzer dazwischen geklemmt. Über uns in bedrohlich nahem Abstand hingen mehrere dicke Rohrleitungen unter der Decke und immer wieder zischten eben über unsere Köpfe hinweg diese Bretter mit Kalkhaufen darauf. Alle paar Meter hing zwar wohl auch eine Lampe in diesem Gewirr, doch gab sie nur spärlich Licht. Und obschon alles weiß gekalkt war, gab gerade dieses trübe Licht der ganzen Strecke etwas Unheimliches.

Die Fahrt dauerte fast eine halbe Stunde und ich wurde auf dem harten Blech ordentlich durchgeschüttelt. Einmal, als der Zug an einer helleren Abteilung vorbeifuhr, erhob ich mich etwas, um mehr zu sehen. Da trat der Steiger schmerzhaft gegen mein Schienbein und schrie: „Runter!“ Dabei sah er mich so böse an, als hätte ich etwas Schreckliches getan. „Mach das nie wieder, solange der Zug fährt.“ Endlich hielt der Zug. Aussteigen, was wieder eine mühsame Prozedur für mich war. Der Zug fuhr weiter und ich sah mich um. Hier zweigte in engem Bogen nach rechts eine Strecke ab. An dieser Stelle war der Ausbau gemauert. Eine Tafel zeigte: 1. östliche Richtstrecke.

Teil 12: Deine Lampe ist dein Leben

„Du bist also heute zum ersten Male unter Tage? Dann merke dir einmal die allerwichtigsten Dinge: Zuerst, entferne dich nie von deiner Lampe. Sie ist dein Leben. So wichtig, wie deine Augen. Dann, achte darauf, dass deine Kaffeepulle immer wenigstens noch halbvoll ist, bevor du zum Schacht zurückkehrst. Man kann nie wissen. Weiter, wenn du später aus dem Magazin noch eigenes Gezähe bekommst, lass das nie irgendwo herumliegen, wenn Schicht ist. Erstens ist das eine Gefahrenquelle für die folgende Schicht und zum anderen bist du dafür verantwortlich. An jeder Arbeitsstelle gibt es eine Gezähkiste und der jeweilige Ortsälteste hat den Schlüssel dazu“, erklärte mir der Steiger.
 
Auf dem langen Weg von der Haltestelle erfuhr ich noch viele nützliche Dinge, die das Leben hier unten erträglicher machen sollen. Dann kamen wir beim Stapel an. Das war nun aber kein irgendwie gestapelter Haufen, sondern so nennt man hier einen kleineren Schacht, der nicht zu Tage führt, sondern nur von einer Richtstrecke zu einer darüber oder darunter liegenden Abteilung. Man sagt auch Blindschacht. Unser Ortsältester, der Fritz war schon am Telefon. „Hallo, Karl, bist du schon oben? Wir kommen jetzt hoch.“ Dann stiegen die ersten vier in den kleinen Korb und er gab das Signal nach oben zum Maschinisten: 4 und 2 Schläge. Das heißt, Seilfahrt auf! Wir hörten sie oben poltern und da kam der Korb auch schon wieder. Den letzten Korb bestieg der Steiger mit mir und dem Fritz. Nun gab er ein anderes Signa : 4 und 1 und 2 Schläge, was bedeutet, Seilfahrt, Halt, auf. Da weiß der Maschinist, dass der Anschlag gebende Mann selbst fährt. Er lässt eine Minute verstreichen, sodass man in Ruhe einsteigen kann und ruckt dann noch dreimal mit dem Korb, ehe er losfährt. Trotzdem ist es gefährlich und für Lehrlinge absolut verboten.

Nun waren wir also endlich an unserem Arbeitsplatz: Sieben Leute und mit mir ab heute acht. In der Bandstrecke, die noch aufgefahren wird, arbeiten der Gesteinshauer Dieter und die zwei Hauer Albert und Oskar. In dem Streb arbeiten zwei Kohlenhauer und zwei Schlepper. Der eine Hauer, Bruno, kommt aus Osterfeld und ist schon lange dabei während der andere, Ernst, aus Schlesien gekommen ist, wo er auch schon Kohlenhauer war. Dann noch die beiden Schlepper, Max und Rolf. Der Steiger stellte mich mit der Ermahnung, „Lasst ihn nicht gleich die schweren Stempel schleppen. Er ist heute zum ersten Male unten“ vor. Dann kroch er in dem Streb hoch. Ich sah noch einige Zeit sein Licht hin und her blitzen, dann waren wir allein. Hier war es schwül und warm und so dunkel, wie ich es mir etwa vorgestellt hatte. Und wieder kam eine neue Ermahnung: „Setz dich nie auf das bloße Liegende oder gar auf ein Eisenteil. Suche dir ein Stück Kappe oder setz dich notfalls auf deine Kaffeepulle. Pass aber auf, dass sie dabei nicht aufgeht. Und dann solltest du dir bald einen Schal oder sonst irgendeinen alten Lappen besorgen. Den bindest du dir um den Hals und da bleibt er, auch wenn du bei der Arbeit alles andere ausziehst. Aber nun machen wir erstmal zehn Minuten Pause, bis der Hering wiederkommt.“

Hering nannten sie den Steiger. Er war lang und dünn, aber er hieß ja auch so. Nun war er in den Streb gekrochen, um sich die Arbeit der letzten Tage anzusehen. Ich sah mich um. Bis zum Stapel waren es wohl 100 Meter und da, wo wir nun saßen, führte der Streb leicht bergan. Das ist die Strecke, die wir nach oben zur Kopfstrecke durchschlagen sollen. In dem Streb wird dann später ein Revier, das jetzt noch an einer anderen Stelle arbeitet, diesen Streb übernehmen. Meine neuen Kameraden hatten es sich in dieser Strecke irgendwie gemütlich gemacht. Jeder saß, an einen der Ausbaustempel gelehnt, hatte die Lampe neben sich gestellt und den Hut über die Augen gezogen. In der Mitte führte ein Gleis, dass sich am Stapel teilte und darauf standen etwa zehn leere Wagen. Unter der Decke, der Firste, führten mehrere Leitungen entlang. Ein dickes eisernes Rohr für die Druckluft und noch ein riesenhaftes Blechrohr. „Das ist die Lutte. Versorgt uns mit frischer Luft“, erklärten sie. Daneben gab es noch einige Stromkabel. Sogar ein Telefon hing an der Wand neben einer Wettertafel. Darauf hatte der Wettermann seine Eintragungen gemacht: Temperatur 31,5 Grad, Methangehalt 0 %. Datum von gestern.

Plötzlich, ohne dass ich es vorher wahrgenommen hätte, kam in einer Wolke aus Kohlenstaub der Steiger aus dem Streb herausgerutscht. „Da oben sieht es ja nicht Vertrauen erweckend aus. Ihr solltet den Ausbau enger setzen.“ „Dann dauert es ja noch länger, bis wir oben ankommen“, so die Antwort. „Lasst euch Zeit und macht es ordentlich. Förderung soll hier erst Anfang Juni losgehen.“ „ Wie geht's bei euch, Dieter?“, fragte er dann den Gesteinshauer, der mit seinen zwei Kameraden die Bandstrecke vortrieb. „Kann der Anton heute Mittag kommen?“ Anton ist der Schießhauer. Der wird angefordert, wenn in der Strecke die Bohrlöcher soweit fertig sind, dass die Strecke durch Sprengung wieder um etwa zwei Meter voran getrieben wird. Dann wird das Gestein und die anfallende Kohle weggeräumt und der Ausbau gemacht. Hier in der Bandstrecke, die über zwei Meter Höhe hat, wird auf der Seite zum Streb hin Pfeilerausbau verwendet. Auf der gegenüberliegenden Seite Türstock. Die Pfeiler sind Stapel aus dicken Stempeln, ähnlich geschichtet, wie eine Kartoffelkiste. Innen werden sie gefüllt mit den Bergen, die beim Vortrieb der Strecke anfallen.

Teil 13: Kriechen in den Streb

Nachdem der Steiger wieder gegangen war, reckte sich der Fritz und schloß die Gezähkiste auf. Darin lagen Schaufeln, Abbauhämmer, Sägen, Vorschlaghämmer und noch viel anderes Werkzeug. Zu mir sagte er „Erinnere mich heute Mittag daran, dass ich dir aufschreibe, was du morgen an eigenem Gezäh mitbringst. Heute bleibst du erstmal bei mir und siehst dir alles an.“ und dann stellte er den Luttenventilator an. Ein Heulen begann und wurde immer stärker, sodass man kein Wort mehr verstehen konnte. Ich schrie dem Fritz ins Ohr, „ Wie lange bleibt der Krach?“ „Bis Schicht“, lachte er. „Oder möchtest du hier ersticken?“ Der Dieter ging mit seinen beiden Hauern zum Ort. Dort sah ich deutlich die Flözschicht quer durch die Strecke ziehen. Etwa 1,2 Meter mächtig und leicht geneigt, von links oben nach rechts unten. Zuerst würden sie also diese Kohlen heraushauen und dann die Bergeschicht ober- und unterhalb wegsprengen. Schießen heißt es hier im Bergbau.

Ich kroch hinter dem Fritz her in den engen Streb. Rechts glänzte die Wand der Kohle und davor lagen Bleche, die aneinander geschraubt, wie eine lange Schüssel aussahen. „Das ist die Rutsche. Warte nur bis wir die anlassen, dann ist der Lärm so gewaltig, dass wir uns nur noch mit Zeichen verständigen können. Siehst du hier die Kohle, die überall neben der Rutsche herumliegt? Das kommt daher, wenn die drei da oben zu wild arbeiten und zuviel und zu schnell draufschmeißen, dann fällt schon ordentlich was daneben. Das kannst du nachher saubermachen, aber jetzt komm erstmal weiter mit.“  Das war aber nicht so einfach, wie gesagt. Es ging aufwärts und das Liegende war glatt. Dazu die vielen Stempel, die wie an einer Schnur aufgereiht in kurzem Abstand dastanden. Oben mit Kappen oder Halbhölzern verbunden. Über mir ein dickes Rohr, die Lutte, an deren Flansche ich mir einige male tüchtig den Kopf stieß. 120 Zentimeter Flözmächtigkeit ist ein sehr ungünstiges Maß, dachte ich. Zum Kriechen zu hoch und zum Gehen zu niedrig. Aber wieso glänzte auch links eine Wand, wie das Liegende? „Was du da siehst, ist eine glatte Verwerfung. Quer durch den ganzen Berg läuft diese Störung. An ihr entlang richten wir das neue Revier ein. Das geht nicht immer so glatt, wie hier. Meist muss man an solchen Stellen mit Wasser und zerklüftetem Gebirge rechnen. Hier haben wir Glück. Dafür ist aber der Gebirgsdruck nicht von schlechten Eltern. Unser Flöz, das an dieser Wand endet, findest du übrigens etwa 5o Meter weiter unten wieder.“

Inzwischen waren wir bei den vieren angekommen, die sich mit zwei Abbauhämmern durch die Kohle arbeiteten. Hier endete auch die Lutte und entließ aus ihrem Mund einen Strom kalter Luft. Weil ich wieder einmal nicht aufpaßte und neugierig umher sah, stolperte ich schmerzhaft über ein Ungetüm aus Stahl, das mit Ketten an mehreren Stempeln befestigt war, wie ein gebändigtes Raubtier. Ich erkannte einen Rutschenmotor. Diese Dinger hatte ich doch in der Werkstatt schon gereinigt. Nun sah ich ihn also hier startbereit mit einer Rutsche verbunden. Noch war es relativ still. Nur das Rauschen der Lutte und die wenigen Worte der Kameraden, die gerade dabei waren, einen Stempel zu setzen. Einer hielt ein Halbholz, eine Kappe hoch, während der andere  den Stempel setzte, den er vorher auf die passende Länge abgesägt hatte, schräg darunter. Dann nahm der Ernst einen dicken Hammer und trieb mit wuchtigen Schlägen den Stempel unter das Hangende. „Steht“, rief er. Dann der zweite Stempel am anderen Ende der Kappe.

So arbeiten sie sich Tag für Tag an die obere Strecke, die Kopfstrecke, heran. Ich konnte mir nicht verkneifen, zu fragen: „Warum spitzt ihr die Stempel nicht an?“ Das hätte ich nicht fragen sollen. „Lehrling“, sagte er verächtlich, aber doch mit einem Schmunzeln. „Ich will es dir erklären. Wenn in der Strecke, die ja lange stehen soll, ein Türstock gesetzt wird, dann werden die Stempel natürlich auch fachgerecht gesetzt und unten angespitzt. Hier an der Kohle, wo es Tag für Tag etwa zwei Meter weiter geht, haben wir dafür keine Zeit und es tut auch nicht nötig.“ Es entstehen hier zwei „Gänge“, die nebeneinander liegen. Eine lange Reihe Stempel entlang der Störung. Eine weitere Reihe nahe an der Wand der Kohle, dem Stoß und eine dritte Reihe in der Mitte dazwischen. In dem „Gang“ an der Kohle lagen die Bleche der Rutsche und unter dem Hangenden war die Druckluftleitung an Ketten aufgehängt, wärend in dem zweiten Gang die dicken Rohre der Lutte hingen. Hier war es eng, aber das Kriechen in der Rutsche war zumindest für mich strengstens verboten.

Teil 14: Abwärts auf der Rutsche

„Hier bringe ich euch den Walter, der kann heute mal etwas den Streb neben der Rutsche sauber machen.“ „Habt ihr uns nichts mitgebracht?“ „Oh, verdammt, das habe ich völlig vergessen.“ Es war hier ein ungeschriebenes Gesetz: Jeder, der zu den vieren heraufkommt, bringt einen Stempel mit. So ist die elende Schlepperei etwas gerechter unter allen verteilt. Hin und wieder, wenn er beste Laune hatte, brachte sogar der Steiger einen mit. „Na, das wollen wir jetzt gleich mal üben. Komm Walter, wir kriechen noch einmal runter und holen uns jeder einen Stempel. Und ihr wartet mit der Rutsche, bis wir wieder da sind.“ Damit schwang er sich in die Rutsche und sauste auf den glatten Blechen abwärts. Auf halbem Wege drehte er sich um. „Na komm schon. Nur dies eine Mal und auch nur, weil ich es dir erlaube und weil die Kameraden da oben wissen, dass wir in der Rutsche fahren. Und nimm die Hände weg vom Rand. Gebremst wird mit den Schuhen.“

Also zwängte ich mich zwischen zwei Stempeln hindurch auf das Blech. Die Bleche waren glatt, wie Schmierseife. Ich hielt mich mit einer Hand an der Druckluftleitung fest. Wollte mich richtig setzten und die Lampe zwischen die Beine stellen. Da war sie auch schon weg. Schlitternd und Klappernd verschwand mein Licht in der Tiefe. Dann hörte ich einen Knall und einen Fluch. Der Fritz hatte sie mit irgendeinem Gegenstand aufgefangen. „Bist du verrückt? Wolltest mich wohl umbringen.“ Langsam fuhr ich nun meiner Lampe hinterher. In der Dunkelheit stieß ich ein paar mal heftig mit dem Kopf gegen die Leitung. Dann war ich beim Fritz. Das erwartete Donnerwetter kam jedoch nicht. Er sagte nur „Na, da müssen wir wohl noch so allerlei lernen.“

Er suchte von dem Wagen mit den Stempeln zwei passende aus, und schon wieder gab es eine Anweisung. „Bei dieser Schufterei musst du bedenken, dass du beide Hände brauchst, den Stempel vor dir herzuschieben, also wohin mit der Lampe?“ „Ich hänge sie an den Riemen der Hose.“ „Na, mach das mal.“ Ich stieß meinen Stempel in den Streb, hängte mir die Lampe an den Riemen und versuchte nun kriechend, den Stempel vor mir herzuschieben. Nach wenigen Metern, als mir die Lampe die Knie wund geschlagen hatte und das Licht auch nur unten, aber nicht vor mir war, gab ich auf. Hinter mir lachte der Fritz. „So geht das auch nicht. Hast du keinen Lampenriemen? Den holst du dir aber heute Mittag. Dann kannst du die Lampe um den Hals hängen. Hier, kannst mein Halstuch heute mal nehmen. So was solltest du dir auch bald besorgen.“  Nun ging es besser. Trotzdem kam ich aber klitschnass geschwitzt oben an. „Glückauf. Na, jetzt siehst du schon fast aus, wie ein Bergmann.“ riefen die Kameraden und lachten, dass man in den schwarzen Gesichtern die weißen Zähne blitzen sah. „So und nun pass mal auf: Wollen mal unseren kleinen Tiger von der Kette lassen.“ Und damit ging er zu dem Rutschenmotor, drehte ein Ventil auf. Mit lautem Zischen zog der die Rutschenbleche ein Stück hinauf. Wütend zischend blieb er so stehen. „Was ist denn los“, rief Bruno, die schlafen wohl da unten. Er nahm den Hammer und schlug ein Signal an die Leitung, dass es laut hallte: vier und zwei Schläge. Gleich darauf kam die Antwort: vier und zwei Schläge, und dann wurde die Rutsche langsam wieder um das gleiche Stück hinunter gezogen. „Das war der Gegenzylinder, wenn du weißt, was das ist?“ Ja ich wusste es von meiner Arbeit in der Werkstatt her. Nun kam Leben in das Ganze. Der dicke Motor zog das Blech mit einem wilden Ruck zurück, sodass die Kohlen, die darauf lagen, in Bewegung gerieten. Immer schneller wurde die Schüttelei und hüllte alles in Staub und einen betäubenden Lärm ein.

Ich rutschte mit dem Fritz wieder zur Bandstrecke hinunter und er suchte in der Gezähkiste nach einer Schaufel, einer Panne, für mich. „Hier die alte ist gut für dich. Die ist abgenutzt und leicht und blank und achte auf deine Finger. Weg damit von der Rutsche.“ Ich kroch zurück in den Streb und mühte mich, alles das, was neben den Blechen lag, hineinzuschaufeln. Die Lampe hängte ich an eine Kappe über mir. Bald hatte ich es raus, sie so zu hängen, dass sie mich beim Arbeiten nicht blendete. Nur mit der Schaufel hatte ich meine Mühe. Sie war doch sehr groß, wie eine riesige Bratpfanne. Wenn auch die Kohle leicht war, so verklemmte ich das große Schaufelblech immer wieder unter der Rutsche. Ich versuchte, die Kohle mit einem Stück Holz, das irgendwo herumlag, hervorzuholen. Da wurde ich von hinten am Kragen gepackt und zurückgerissen. Unbemerkt war der Fritz hinter mir aufgetaucht. Bei dem Lärm hatte ich es nicht bemerkt. Er schrie mir ins Ohr. „Was habe ich dir eben gesagt? Hände weg! Lass dich nicht noch einmal erwischen, dass du mit irgendwas anderem, als deiner Schaufel unter der Rutsche herumfummelst. Inzwischen kannst du ruhig die Jacke ausziehen und wenn es dir zu heiß wird, auch die Hose. Hast doch eine alte Turnhose darunter? Genier dich nicht. Mädchen gibts hier nicht. Wenn du eine Frage hast, komm runter zu mir.“ Und damit verschwand er im Dunkel.

Teil 15: „Drubbelpause“

Ohne Jacke war es wirklich leichter. Von oben her zog ein leichter Wind an mir vorbei. Das war angenehm. Die Hose ließ ich aber noch an, weil die vielen kleinen Kohlen- und Bergekrümel empfindlich in die Knie stachen, wenn sie zwischen die Knieschoner gerieten. Da blieb die Rutsche stehen. Was mochte los sein? Schon Schicht? Bestimmt nicht. Ich setzte mich auf meine Jacke und lehnte einen Augenblick an einen Stempel. Hier war ich allein, wohl etwa in der Mitte zwischen unten und oben. Es war eine Stille, wie ich sie noch nicht erlebt hatte. Weder die Kameraden oben noch unten waren zu hören. Nur mein Blut dröhnte mir in den Ohren und in der Lutte war ein leises Rauschen zu hören. Und dann war da ein Stöhnen und Knacken. Hin und wieder ein Knall, gerade so, wie es sich anhört, wenn im Winter das Eis auf einem See atmet. War das alles richtig so? Und warum hatten sie aufgehört zu arbeiten? Während ich noch überlegte, kamen von oben Bruno und Ernst mit den beiden Schleppern auf der Rutsche herunter gefahren. „Komm mit. Dubbelpause“, riefen sie im Vorbeisausen. Ich nahm Jacke und Lampe und rutschte hinterher. Allerdings eingedenk der Ermahnungen und der Kopfnüsse, die ich mir an der Druckluftleitung geholt hatte, war ich nun vorsichtig und steckte den Kopf zwischen die Knie.

Unten erzählte ich von den Geräuschen, die ich gehört hatte. Sie lachten mich nicht aus und Ernst, der bisher kaum gesprochen hatte, erzählte mir von den Gefahren und von seinen  Erlebnissen. „Das meiste, was du hier hörst, ist völlig normal. Bedenke, dass über uns fast 600 Meter Berge liegen. Das drückt natürlich gewaltig, besonders an einer Störung, wo die beiden Teile aneinander reiben. So ähnlich, wie die Platten, die letztlich ein Erdbeben hervorrufen. Keine Angst, so schlimm wird es hier nicht. Schlimmstenfalls kann aber unser Streb zusammenknallen. Dann war unsere Arbeit umsonst und wir müssen noch einmal von vorn anfangen. Wollen nur hoffen, dass das an einem Sonntag passiert, wenn wir zu Haus sind.“

„Nun erzähl dem Jungen man keine Märchen, sonst kommt er morgen nicht wieder.“ Der Steiger war unbemerkt herangekommen, leuchtete mir mit seinem Blitzer ins Gesicht und sagte: „Na, Bergmann, wie schmeckt die Arbeit?“ „Gut“, sagte ich. „Darf ich noch eine Frage anschließen? Sind alle Flöze so niedrig?“ Alle lachten. „Wir haben auch 60 Zentimeter und sogar 50 Zentimeter anzubieten. Möchtest du das mal probieren?“ Nein, lieber nicht. „Und wie geht es da oben?“, fragte er dann den Fritz. „So leidlich. Sitzt viel Druck drauf. Die Stempel summen. Der Walter hat schon den Berggeist gehört“, lachte er. „Und wie ist es mit dem Schießen?“, fragte er nun den Dieter, der vor Ort der Bandstrecke gebohrt hatte. „Ja, der Anton kann nachher kommen.“ „Dann werde ich nach dem Schuss noch mal in den Streb kriechen und horchen. Fritz kommst du mit? Ihr könnt ruhig schon zum Schacht fahren. Wir werden dann irgendwie hinterher kommen.“
 
Nach der Pause fragte ich, ob ich mal beim Bohren zusehen kann. „Kannst Du. Nächste Woche kannst du beim Dieter auch mal mitmachen.“ Am Ort war die Kohle schon heraus und verladen. Auch hier wurde mit Stempeln und Kappen abgesichert, jedoch nur provisorisch. Nach dem Schießen gibt es ja sozusagen kein Hangendes mehr, das einstürzen könnte. Ich fragte „Warum wird die Kohle denn nicht auch mit herausgeschossen?“ „Bist Du verrückt? Die bringt Geld. Oder möchtest du sie später zwischen den Bergen herausklauben?“, lautete die Antwort. Nun hatten sie in den noch anstehenden Berg viele Löcher gebohrt. Jedes etwa 180 Zentimeter lang. Länger waren die Bohrer nicht. Zwei seltsame Gestänge waren da zu sehen: Auf dem Liegenden und unter der Firste verkeilt und daran war je ein Bohrer befestigt. „Pass auf und halt dir mal die Ohren zu“, rief der Dieter und ließ seinen Bohrer anlaufen. Wenn ich bisher gedacht hatte, dass ein Boxer fast unerträglich laut sei, so lernte ich nun, was wirklich Lärm ist. Ein wahrer Höllenlärm setzte ein. Der Bohrer schlug und drehte gleichzeitig und trieb so den langen Bohrmeißel in das Gestein. Es staubte, und immer wieder schüttete der Oskar mit einer Konservendose Wasser mal auf den einen, dann auf den anderen Bohrer. Alle hatten sich ihr Halstuch vor Mund und Nase gebunden. „Hast du genug gesehen? Dann hau ab, sonst holst du dir hier eine Staublunge!“, schrie der Dieter durch den Lärm und ich folgte bereitwillig.

Das ist also der Bergbau: Dunkelheit, Lärm, Staub, Gefahr überall, aber eine Kameradschaft untereinander, wie ich es bisher noch nie erlebt hatte. Auch die Steiger machten da keine Ausnahme. Das war mein erster Tag unter Tage auf der Zeche Osterfeld.

 

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