Gedanken eines Bergmanns
Nachstehend der Text eines Bergmanns, der kurz nach dem zweiten Weltkrieg auf dem Förderturm steht und seine Gedanken dabei zu Papier brachte:
Vorn der Turm der Schachtförderung Schacht III. Unter uns die große Anlage: mächtige Gebäude, lange, schräg laufende Brücken, Berge und Kettenbahn, Bunker, Silos, unendlich lange Rohrleitungen, Säulen, Schieber, Ventile, ein wahres Durcheinander. Und doch ist alles wohigeordnet, ein jedes hat seinen Zweck.
Dahinten ist der Holzplatz, ein kleiner Wald lagert hier, denn die Grube benötigt viel Holz, acht Eisenbahnwagen täglich.
Da ist das Kesselhaus, flankiert von den beiden Schornsteinen, die wie zwei Riesen den feurigen Drachen behüten. Über 100 Meter sind sie hoch, ziemlich am Rande in zwei Drittel Höhe war je eine Fliegerwamung angebracht, die ihren Zweck allerdings nie erfüllt hat, da im Kriege wegen der Verdunklung die Lampen nicht brennen durften.
Da ist die Zentrale mit den kostbaren, feinnervigen Maschinen, da surrt es, die haben es eilig. Der große Kompressor hat 1000 PS, macht 3000 Umdrehungen in der Minute und erzeugt 100000 cbm Luft stündlich.
Da sind die Kuhltürme, dort die Aufbereitung, neben uns Schacht III, vor uns liegt die neue, schöne Waschkaue, wo die Kumpels ihren Staub und Dreck abwaschen.
Geradeaus das Ledigenheim, hier wohnen die vom Krieg Verwehten, die Heimatlosen. Die meisten sind aus der Ostzone, viele wissen heute noch nichts von ihren Angehörigen, ja aus allen Zonen, allen Ländern Deutschlands sind sie hier, in allen Mundarten klingt es durcheinander, alle Berufe sind vertreten, vom Landarbeiter bis zum Arzt und viele ehemalige Wehrmachtsangehörige, vom Flakhelfer bis zum Oberstleutnant. Ob alle wohl hierbleiben und richtige Bergmänner werden?
Da sind die Werkstätten, hier wirken die Handwerker, vom Grobschmied bis zum Uhrmacher. Im Sonnenlicht flimmern die Schienenstränge, Lokomotiven flitzen hin und her.
Vom Nahen jetzt einen Blick in die Weite! Einen guten Teil Westfalens kann man von hier aus übersehen, hier ist die Soester Börde, die Kornkammer Westfalens wird sie genannt. Weit hinten liegt Soest, rechts Werl, dort hinter den Höhenzügen der Ruhr das schöne Sauerland mit seinen tiefen, dunklen Wäldern, Talsperren und weltberühmten Höhlen. Anschließend Unna, rechts die alte Hanse- und fröhliche Bierstadt Dortmund. Dort das Städtchen mit dem schiefen Turm ist Kamen, weiter rechts liegt Werne. Dann die Industriestadt Hamm, sie schimmert in bläulichem Dunst. Und zwischen diesen Städten all die kleinen und größeren Dörfer.
Soweit her, wie das Auge schaut, kommen nun täglich die Kumpels hier nach Königsborn zur Arbeit. Mit der Bahn, dem Autobus, dem Fahrrad und zu Fuß. In Wind und Wetter, auf guten und schlechten Wegen. Täglich so 20—25 km mit dem Fahrrad, das ist keine Kleinigkeit!
Nun wollen wir noch den Birkenbaum suchen, er soll dort zwischen Werl und Hemmerde stehen, der Sage nach soll hier die große Schlacht geschlagen werden. Vielleicht ist sie schon geschlagen, Kriege hat es ja genug gegeben. Gingen doch allein im Siebenjährigen Krieg die Gemeinden Kessebüren, Frömern und Unna völlig in Flammen auf. Hoffen wir, das die Birken- baumschlacht geschlagen ist, denn — was wir wollen und brauchen, ist Ruhe und Frieden! Das wird uns um so mehr bewusst, wenn unsere Blicke aus der Höhe auf die schwergeprüfte Schachtanlage und Gemeinde Bergkamen fallen, einen Ort, der durch die schweren Grubenunglücke 1944 und 1946, durch Fliegerangriffe und die Gefallenen des zweiten Weltkrieges 1300 Männer verlor. Und jetzt stehen die Chemischen Werke dort in der Demontage. Möge dieses bittere Los unseren Schachtanlagen und Gemeinden nie beschieden sein! Fünfzig Jahre liegen hinter uns, mögen fünfzig glückliche folgen —
dies wünscht mit herzlichem "Glückauf!“
Adolf Feldmann